Es tue gut, so viele Fans zu sehen, sagte Bandgründer Mike Ness. So weit entfernt von der Heimat, an einem Montagabend, den man ja auch mit CSI-Schauen hätte verbringen können. 2400 Leute (Angaben des Veranstalters Batschkapp) wählten lieber Punkrock anstelle der Fernbedienung und erlebten eines der insgesamt sechs Konzerte der Tour von Social Distortion durch Deutschland im Frühjahr 2015. Social D begann pünktlich 21 Uhr und spielte die ersten 30 Minuten routiniert das Tourneeprogramm ab. Danach erhöhte sich der Stimmungspegel sprunghaft.
Punk für berufstätige Thirty-Somethings
„Far behind“, „Sick boys“, „When the angels sing“, „Machine gun blues“, „Story of my life“ und als Zugabe dann natürlich das obligatorische Johnny Cash-Cover „Ring of fire“: Mike Ness, Jonny Wickersham und Brent Harding servierten ihren gepflegten Rock ‚n‘ Roll, dessen Erdung im Punk immer vernehmbar ist. Es war eine Punk-Huldigung für den berufstätigen Mittdreißiger: Ness empfahl, einfach auszuschlafen und dem Arbeitgeber mitzuteilen, der Frontmann von Social Distortion entschuldige das Fernbleiben. Überhaupt war der Sänger gesprächig, er erzählte von seinem Spaziergang als Tourist durch eine deutsche Innenstadt und dass er sich gewundert habe, dass am Sonntag alles zu gewesen sei.
Wasserbecher statt Bierduschen
Wenn man gemein wäre, würde man anmerken, dass es ein Punkkonzert für Sitzpinkler gewesen sei. Denn die Wahrscheinlichkeit, mit Bier überschüttet zu werden, war äußerst gering. Nur ein paar Wasserbecher wurden nach vorn geschleudert, nur wenige erreichten die Bühne. Und dort sammelte ein Roadie das Plastik sofort auf. „Punk für Sitzpinkler“ entspräche natürlich nicht dem Verdienstorden der Band, die nun einmal in einer größeren Hallen-Liga spielt und damit ein ähnliches – nun ja- „Problem“ hat wie die Foo Fighters.
Zweite Punkgeneration
Familientauglicher Punkrock, der es ermöglicht, dass der 46 Jahre alte Dirk aus der Nähe von Marburg in Hessen seinen 16jährigen Sohn Justin ohne Sorgenfalten mit aufs Konzert nehmen konnte. Denn so kann der Familienvater darauf einwirken, dass der Teenager nicht mit den Klängen seines Vornamensvetters Bieber sozialisiert wird. Bei einer Band, deren Wurzeln in die späten 1970er zurückreichen, tritt dieser „Stones-Effekt“ auf. Die Zeiten haben sich geändert. Ein Glatzkopf im Publikum mit Exploited-Jacke machte Selfies mit seiner Freundin. Iro-Kamm trägt heute nur noch Sascha Lobo.
Do It Yourself mit Polizeieinsatz vor der Stadthalle
Exakt eine Stunde und 40 Minuten rockte Social D die Stadthalle, die schon Konzerte von Jimmy Hendrix, The Who und den Jackson 5 erlebt hatte. Vor deren Toren hatte sich das englische Trio Shoshin postiert, um für seinen Auftritt beim Hurricane Festival zu werben. Die junge Band, die sich wie die frühen Red Hot Chili Peppers anhörte, verkaufte unglaublich viele Promo-CDs für einen Fünfer über den Hut als „Kasse des Vertrauens“. Die Solidarität der Besucher eines Konzerts von Social Distortion bewies wieder einmal, dass Leute mit dem besseren Musikgeschmack die besseren Menschen sind.